Operation Cyborg
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Einleitung zum Artikel

Dieser Artikel hat nur am Rande mit meinem Buch zu tun, denn er streift das Thema KI nur äußerst oberflächlich. Der Text entstand als rudimentärer Leitfaden für ein Germanistikreferat, das ich dereinst hielt.

Der Bezug zum Buch stellt sich dennoch:
Ich kann mich an meine ersten Gehversuche mit dem Lyrikgenerator auf dem C64 (s.u.) seinerzeit erinnern. Immer dann, wenn der Computer scheinbar sinnvolle Sätze bildete, glaubte man tatsächlich für einen kurzen Moment, daß dem Siliziumchip der Maschine womöglich doch so etwas wie eine Seele innewohnen könnte :-)


Programmierte Poesie - Computergedichte

Racknitz - The Turk
Bild 1 - Kupferstich von J. Racknitz

Die Frage ob Poesie auch maschinell erstellt werden kann, wurde wohl schon lange vor der Erfindung des Computers gestellt, ähnlich wie das im Mittelalter und der Neuzeit bei den immer wiederkehrenden Legenden und Gerüchten von einer schachspielenden Maschine1 war, von der man schon in der Antike behauptete, sie existiere. Tatsächlich gab es immer wieder Versuche eine solche Maschine auf mechanischer Basis zu bauen. Bei den wenigen angeblich funktionierenden Geräten hat es sich wohl ausnahmslos um Betrug gehandelt (die Maschinen wurden heimlich doch von einem Menschen gelenkt, siehe Bild 1).

Mit der Erfindung der ersten Rechenmaschinen und primitiven Computer, manifestierte sich die Idee, daß es tatsächlich einmal denkende, sprechende, schachspielende oder etwa dichtenden Maschinen geben könnte.

Schon in Goerge Orwells Roman "1984" (welcher 1949 erschien) taucht eine solche Maschine auf: Der "Versifikator" dichtete und schrieb Lieder.

Hans Magnus Enzensberger
Bild 2 - Hans Magnus Enzensberger

Auch der berühmte deutsche Dichter und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger2 (Bild 2) fand an dieser Idee wohl gefallen. So zitierte er bereits in den 1970er Jahren einen Zeitungsartikel von 1777, in dem über eine Göttinger Erfindung einer windgetriebenen "poetischen Handmühle" berichtet wird. Sie solle, so der Bericht "Oden von allen Gattungen ganz mechanisch verfertigen können".

Schon damals, in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts also, kündigte Enzensberger die Erschaffung eines eigenen Poesieautomaten an.

Es sollte aber bis zum Sommer 2000 dauern, bis die Maschine technisch so ausgereift war, daß er sie präsentieren konnte. Beim Lyrikfestival in Landsberg/Lech führte er seinen "Poesieautomat" zum ersten mal einer staunenden Menge vor.


In der entsprechenden Zeitungsmeldung hieß es wie folgt:

Wenn Maschinen dichten am Lech, kommt etwas dabei heraus

Hans Magnus Enzensberger präsentierte beim Poesie-Festival
"Lyrik am Lech" in Landsberg erstmals seinen Lyrik-Automaten

05.07.2000 - Der Dichter Hans Magnus Enzensberger präsentierte am Samstag im oberbayerischen Landsberg am Lech vor mehreren hundert Zuschauern erstmals den von ihm entwickelten "Poesieautomaten". Nachdem Enzensberger auf den Knopf einer Art vergrößerten Computermaus gedrückt hatte, reihte sich vom Computer gesteuert, unter lautem Klickern, Buchstabe für Buchstabe auf einer Anzeigetafel, wie man sie auf Flughäfen oder Bahnhöfen findet. Danach waren folgende Zeilen zu lesen:

Überflüssige Erpressungen der Gremien, dieser fieberhafte Kunstgenuß am Wochenende
und diese vorgedruckten Zahlungsbefehle: Schleierhaft!
Im Grunde langweilt uns doch manches.

Einstweilen lediglich würgende Lügen. Pünktlich einschrumpfen!
Einflüsterungen: ("Deine Freunde sind wieder so spießig.")
Im Hinterkopf Nullsummenspiele.

Das nackte Erbarmen sagt uns mehr als Impotenz,
hierzulande schwimmen wir ganz allein.

Sachzwänge. Ratlosigkeit. Zierliche Wunderwaffen.

Anscheinend klappt alles.!

Enzensberger selbst mißt den Gedichten seines Lyrik-Automaten keinen hohen künstlerischen Wert bei, aber zu seiner Überraschung habe er bemerkt, daß die Texte, die herauskommen, "etwas sehr Enzensbergerisches" haben. Die Maschine könne Minimalstandards setzen. Wer schlechter schreibe als der Automat, solle vielleicht von einer Publikation absehen. "Es ist ein Spiel. Wieweit man es mit Sinn auflädt, hängt vom Betrachter ab. Es können Gedichte entstehen, die jemand etwas sagen." Die Produktivität der Gedichte erzeugenden Maschine übertreffe quantitativ "alles, was die Menschheit bisher an Poesie hervorgebracht hat", betont Enzensberger. Aus 10 mal 6 Verszeilen mit jeweils sechs Einzelgliedern entstehen durch kombinatorische Verbindungen eine Menge von Texten mit 10 hoch 36 Varianten, so viele, daß es "5 mal 10 hoch 29 Jahre dauert, bis sich der Text wiederholt - also praktisch nie". Ausdrucken will Enzensberger keines: "Die sollen auftauchen und wieder verschwinden. Wer will denn schon so viele Gedichte.

Und wie kam Hans Enzensberger die Idee zu einem Lyrikautomaten?: Angefangen habe es in den siebziger Jahren, da habe er sich gelangweilt. "Es war eine bleierne Zeit, nach dem Untergang der 68er." Er habe sich gegen die müde Stimmung sozusagen selbst therapiert, in dem er mit Textobjekten experimentierte, und griff dabei auf etwas zurück, was ihn schon immer fasziniert habe, die Mathematik. "Ich fragte mich, wie man ein System erfinden könnte, um Wortelemente nach dem Zufallsprinzip zu kombinieren", so Enzensberger in einem Interview mit der Münchner Abendzeitung. Das werfe "natürlich Probleme auf: die formalen Grenzen, Grammatik, syntaktische Fragen, semantische Fragen, Füllwörter... Es gibt jede Menge verborgene Regeln, denn Text läßt sich ja nicht vollständig formalisieren." 3


C64 Lyric V3.0
Bild 3 - Screenshot Lyric V3.0

Was Hans Magnus Enzensberger möglicherweise nicht wußte, war, daß ein cleverer Schüler bereits 15 Jahre vor seinem Lyrikautomaten einen eigenen Gedichtautomaten entwickelt hatte. Im Jahre 1985 (fast "pünktlich", wenn man an Orwells Roman denkt) programmierte ein Gymnasialschüler aus Bünde, einen Gedichtgenerator auf dem Commodore 64 Computer. Dieses Programm heißt Lyric 3.0 und wurde komplett im limitierten Basic V2 des C64 geschrieben. Im Startbildschirm schreibt sein Autor, Dirk Meier, ganz lapidar: "Entwickelt nach nächtelangen Schlachten mit der deutschen Grammatik". Mittlerweile existieren zwar im Internet eine ganze Reihe von Gedichtgeneratoren4, bedenkt man jedoch die Leistungsfähigkeit des C64, muß man Dirk Meier für seine Leistung gratulieren.

Daß der Autor Fan von AI (Artificial Intelligence zu deutsch KI: Künstlicher Intelligenz) und der dazu benutzten Programmiersprache LISP ist, läßt sich am Programmcode erahnen. Tatsächlich erweist sich dieses schlichte Programm als äußerst intelligent. Durch einen aufwendigen Satzbaualgorithmus werden semantisch korrekte Sätze erzeugt. Der Wortschatz und die Satzstrukturen lassen sich anpassen und fast beliebig erweitern, so daß man direkten Einfluß auf den Charakter des Gedichtes hat. Beim Start des Programmes kann der Benutzer zwischen vollautomatischer oder halbautomatischer Gedichtgenerierung wählen. Bei der halbautomatischer Gedichtgenerierung, kann der Benutzer noch Einfluß auf Anzahl der Strophen und der dazugehörigen Verse üben, und er kann darüberhinaus noch wählen, ob er auf bereits gespeicherte Satzstrukturen zurückgreift, oder eigene eingibt. Der Benutzer kann die Anzahl von Strophen und Versen und die Satzstrukturen beliebig miteinander kombinieren. Danach startet die Gedichtgenerierung (wahlweise auf den Computerbildschirm oder auf den Drucker).

Die Funktionsweise seines Programmes erklärt der Autor wie folgt:

"Zuerst sucht das Programm nach einer ihm bekannten Mnemonik für den Satzbau. Dann wird als erstes das Substantiv bestimmt, da der Kasus des Adjektivs und des Artikels davon abhängen. Die Wortauswahl geschieht per Zufallsgenerator. Dann wird ein passender Artikel aus einer Tabelle gelesen (bestimmter Artikel) oder generiert (unbestimmter Artikel). Dann wird das Adjektiv ausgewählt und mit der entsprechenden Endung versehen, die nicht nur vom Kasus, Genus und Numerus des Substantives, sondern auch vom Artikel abhängt. Jetzt muß "nur" noch die Endung des Substantives erzeugt werden. Ein Vorgang, der zu ertüfteln und zu programmieren den Autor nach eigenen Worten fast in eine Paranoia getrieben habe. Nun, seine Programmroutine wurde so gut, daß sie aus der Endsilbe und den darin enthaltenen Vokalen, dem Kasus, Genus und dem Numerus die richtige Endung bestimmt und bei immerhin 98% aller Fälle richtig liegt (bei Fremdwörtern kann das Programm auch mal falsch liegen). Und so erzeugt das Programm Vers für Vers." 5

Und hier nun zwei Gedichtbeispiele, die mit Lyric V3.0 erstellt wurden:

1.
Goldene Ränke zerschmettern eine Hoffnung.
Das Auge schreit.
Da immer wieder pulsierende Welten verwehen, stirbt das Universum.

2.
Die Trägheit entflammt.
Eindrücke lächeln gegenüber dem Sturm.
Auge, Tropfen, Schrecken, alles antwortet.

Gedanken, Hoffnungen, Wälle, alles kreischt.
Erkenntnisse und Hoffnungen, der Tod rieselt.

Monolithen, Winde, Vögel, rein gar nichts singt.

Eine kleine Randnotiz:
Ein weiterer Blick auf den Startbildschirm offenbart eine Grußmeldung, deren letzter Name einen schmunzeln läßt (siehe Bild 3). Es könnte im Nachhinein sogar als kleiner Seitenhieb verstanden werden, erschaffte der 18jährige Schüler eine Lyrikmaschine doch über ein Jahrzehnt vor Enzensberger.


Weiterführende Links / Quellenangabe:

  1. Schachtürke - Wikipedia Artikel
  2. Hans Magnus Enzensberger - Wikipedia Artikel
  3. boa München - h.m.e.'s landsberger poesie automat
  4. Poetron4G - Günters Genialer Gedicht Generator
  5. Zeitschrift 64er, Ausgabe 11, November 1985






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